Gastbeitrag von Patrick Tilemann

Beim Discounted-Cashflow-Verfahren (DCF-Verfahren) wird grundsätzlich zwischen dem Bruttoverfahren und dem Nettoverfahren unterschieden. Das DCF-Verfahren ist international weit verbreitet und somit eine der gängigsten Bewertungsmethoden. Im Gegensatz zum Ertragswertverfahren zielt das DCF-Verfahren besonders auf investitionstheoretische und kapitalmarktorientierte Bewertungen ab. Der Wert der zu bewertenden Bank leitet sich aus den zukünftig zu erwartenden abgezinsten Auszahlungen ab, die die Bank an ihre Eigen- und Fremdkapitalgeber ausschütten konnte. In vielen Fällen wird die Ertragsprognose auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt, da sich Dividenden für zu ferne Zeitpunkte in der Zukunft, aufgrund von vielen Variablen (Kriege, Wirtschaftskrisen) nicht präzise bestimmen lassen. Für einen Zeitraum von etwa fünf bis zehn Jahren lassen
sich noch verlässliche Annahmen machen. Es kann aber auch vorkommen, dass der Zeitraum der Zahlungsreihe vor allem bei langfristigen Investitionsvorhaben nicht beschränkt wird. In diesem Fall handelt es sich um eine kontinuierliche Dividende aus der Investition, also um eine ewige Rente. Zur Vereinfachung der Rechnung nimmt man gleichbleibende Werte für die Dividende ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Zahlenreihe an. Bei dem Nettoverfahren oder auch Equity-Methode wird der zukünftige Wert der Investition aus der Sicht der Eigenkapitalgeber bewertet. Dazu werden ausschließlich die Zahlungsströme an das Eigenkapital bzw. die Eigenkapitalgeber betrachtet, da angenommen wird, dass etwaige Ansprüche der Fremdkapitalgeber schon gedeckt sind. Daher auch der Name „Netto-Methode“, da hier der erwartete Cashflow an das Eigenkapital nach Abzug der Fremdkapitalkosten betrachtet wird.
Der erwartete Cashflow an das Eigenkapital (CFE) wird mit den Eigenkapitalkosten ke abgezinst. So erhalt man den zukünftig erwarteten Barwert des Eigenkapitals. Die Nettomethode ist zwar einfacher in der Handhabung als die Bruttomethode und flexibler, aber dafür längst nicht so genau. Die folgende Gleichung soll den Ansatz nverdeutlichen:

Ve=Σ

t=1

CFEt (1+ke )t

Das Bruttoverfahren hingegen ist international das am häufigsten verwendete Verfahren und wird auch als Entity-Ansatz geführt. Im ersten Schritt werden die gesamten Ansprüche der Eigenkapital- und Fremdkapitalgeber ermittelt, sowie eine prognostizierte Zahlungsreihe. Diese Zahlungsreihe wird dann mit einem Zinsfuß diskontiert, der entsprechend den Anteilen des Fremd- und Eigenkapitals gewichteten ist. Anschließend werden die Ansprüche der Fremdkapitalgeber subtrahiert. Zu beachten ist die separierte Bewertung, wie bei  allen DCF-Verfahren, des nicht betriebsnotwendigen Eigenkapitals. Das Bruttoverfahren ist zwar komplizierter, dafür aber auch flexibler anzuwenden was eigentlich ein häufiger Vorteil ist. Speziell für die Bewertung von Banken ist aber die Nettomethode zu bevorzugen. Für sie spricht, dass die Refinanzierung bei Banken zum operativen Geschaft gehort. Außerdem ist der Wertansatz von Verbindlichkeiten bei Banken als schwierig anzusehen, aufgrund der in den Kapiteln 2.2 und 2.3 beschriebenen Besonderheiten bei Bankbilanzen. Somit wird nachfolgend auf die Bruttomethode im Bewertungsprozess nach den Gesamtwertverfahren verzichtet. Der hier gewählte Bewertungsansatz stützt sich rein auf die Nettomethode.

Anwendung der Bewertungsverfahren

In diesem Abschnitt wird mit dem zuvor erworbenen Wissen der vorangegangenen Abschnitte die Bewertung einer real existierenden Bank durchgeführt. Zu diesem
Zwecke wird eine kleinere Genossenschaftsbank gewählt, um den Vorgang einfach und übersichtlich zu gestalten. Es handelt sich um die Volksbank Raiffeisenbank Bayern Mitte eG., die ihren Hauptsitz in Ingolstadt, Bayern hat. Die Immobilien- und Versicherungszentrale GmbH der Volksbank Raiffeisenbank Bayern Mitte ist nicht Bestandteil dieser Bewertung. Es wird nur das Bankgeschäft betrachtet.

Ermittlung des Substanzwerts der Bank

Aufsetzend auf den theoretischen Grundlagen des zweiten Abschnitts wird nun der Substanzwert der Volksbank Raiffeisenbank Bayern Mitte eG. ermittelt. Diese Bank gibt keine Aktien aus, sondern Genossenschaftsanteile. Mit diesen Anteilen zu je 160€ ist man dann Teilhaber der Bank und erhalt sogar ein Stimmrecht. Der Substanzwert der Bank ergibt sich aus der Jahresbilanz vom 31.12.2013. Sie gibt einen Buchwert von 2.093.168.776,60EUR an. Dieser Wert vermindert um die Schulden ergibt den für den Investor  relevanten Wert des Eigenkapitals. Der Wert ist auch vermindert um die Ruckstellungen, da diese zukünftige Schulden darstellen, sowie die passiven Rechnungsabgrenzungsposten und die Genussrechte. Somit setzt sich der Wert des relevanten Eigenkapitals in diesem Fall aus dem Eigenkapital nach dem HGB und dem bankeigenen Anteil am Fond für allgemeine Bankrisiken zusammen. Die Bank kann zwar nicht ungehindert auf das Geld im Fond zugreifen, dennoch gehört das Geld der Bank.

2.093.168.776,60 € Bilanzsumme

./. 1.934.774.132,64 € Schulden

158.394.643,96 € Wert des relevanten Eigenkapitals

 

Der sich ergebende Wert gibt nun Auskunft über den Wert des Eigenkapitals zum 31.12.2012. Allerdings können daraus noch keine verwertbaren Ruckschlüsse auf die Zukunft  getroffen werden, da es sich nur um einen Momentwert handelt. Mit diesem Momentwert kann jedoch die Eigenkapitalquote bestimmt werden. Diese wirtschaftliche Kennzahl beziffert den prozentualen Anteil des Eigenkapitals am Buchwert der Bank.

Eigenkapitalquote = Eigenkapital

Buchwert x 100 = 158.394.643,96€

2.093.168.776,60 x 100 = 7,567%

Ermittlung der Zahlen für die DCF-Bewertung

Der zukünftige Wert des Eigenkapitals ausgehend vom heutigen Barwert kann mit dem DCF-Verfahren nach der Formel bestimmt werden. Dazu müssen zunächst die Zahlenwerte der Gleichungsvariablen ermittelt werden. Diese Werte lassen sich nicht in der Bilanz finden. Sie müssen separat zur Hauptrechnung ermittelt werden. Der Cashflow an das  Eigenkapital (CFEt ) ist der für den Investor interessante Gewinn, weil dieser eine Steigerung des Eigenkapitals zur Folge hat und so den Wert der Bank steigert. Für 2012 berechnet sich der Cashflow an das Eigenkapital aus den Zinsertragen (NIt ) und anderen Einkommensarten (OCIt ) abzüglich des Zinsaufwands und der allgemeinen Kosten (Δ Et).

CFEt = NIt − ΔEt + OCIt

CFE2012 = 46.497.765,27€ − 37.762.912,75 € + 17.692.732,92 €

CFE2012 = 26.427.585,44 €

Für die folgenden Perioden wird nun der CFE auf Basis der CFE von 2009 bis 2012 extrapoliert.

Die CFE der Vergleichsjahre betragen

  • in ca. 2009: 15.000.000€
  • in 2010: 16.900.000€
  • in 2011: 11.016.600,00€
  • in 2012: 26.400.000€.

Der durchschnittliche CFE des Vergleichszeitraums betragt 17.400.000€.

CashflowDurch das Mittelwertverfahren werden auch Schwankungen geglättet. Der CFE steigt im Vergleichszeitraum durchschnittlich um ca. 14% an. Die CFE für die folgenden Perioden setzen sich aus den durchschnittlichen CFE der Vergleichsjahre sowie einer jährlichen Steigerung von 14% zusammen. Nach der fünften Periode ist für die „ewige Rente“ der CFE gleich dem durchschnittlichen CFE der Vergleichsjahre. Mit dem niedrigen Wert der ewigen Rente werden etwaige zu hohe Wertannahmen korrigiert. Außerdem müssen noch die Kapitalkosten (ke ) ermittelt werden. Sie werden als Prozentwert ausgedruckt. rf ist der risikofreie Zins. Der risikofreie Zins ist der Zinssatz für die Dividende, den das Eigenkapital risikolos auch in anderen Investitionsobjekten erwirtschaften konnte. Als Basis, da deutsche Bundesanleihen als vergleichsweise sicher zu betrachten sind, wird hier der Zinssatz für deutsche Bundesanleihen mit einer Laufzeit von 30 Jahren verwendet. Er betrug am 05.12.2013 zum Handelsschluss 2,7240%. Seit 1990 ist der Zinssatz kontinuierlich gefallen. Eine Prognose über seine langfristige Entwicklung ist nur schwer zu treffen, da zu viele wirtschaftliche und weltpolitische Faktoren bei der Bestimmung des Zinssatzes eine Rolle spielen. Die geplanten Bemühungen der Bundesregierung die Staatsverschuldung zu reduzieren führen langfristig zu einer Verknappung der Bundesanleihen. Sinkt deren Zahl, so steigt logischerweise deren Handelswert. Steigende Handelswerte wiederum haben die Folge, dass die Zinsen auf die Staatsanleihen sinken. Somit ist davon auszugehen, dass langfristig der Zinssatz für deutsche Staatsanleihen weiter fallen wird. Deswegen wird vereinfacht ein rf = 2,1000% angenommen.
Die Variable Beta (β) gibt Auskunft wie stark der Wert eines Wertpapiers im Vergleich zum Markt schwankt. Der Basiswert ist Eins. Für Beta = 1 ist das Wertpapier ebenso volatil wie der Markt. Für Werte darunter ist es weniger volatil und für Werte darüber stärker volatil als der Markt. Um das Beta  der Bank direkt bestimmen zu können, müssten ihre Genossenschaftsanteile an einer Börse gehandelt werden. Da dies nicht der Fall ist muss man vergleichbare Banken finden und sich an diesen Werten orientieren. Das Beta für vergleichbare Banken bewegt sich zwischen 0,00 und 0,3.

Da die Volksbank eher eine vorsichtige Anlagestrategie verfolgt und ihre Genossenschaftsanteile seit mindestens 2006 zu konstanten 160€ herausgibt, ist das Beta eher gering anzusetzen. Für die Rechnung wird also ein Beta von 0,1 verwendet. Bevor die Eigenkapitalkosten bestimmt werden können, fehlt jetzt noch die Marktrisikoprämie (MRP). Auch die Marktrisikoprämie wird als Prozentwert angegeben. Sie misst die Differenz zwischen einer risikobehafteten Anlage und der risikofreien Anlage (rf ). Der Wert für die risikofreie  Anlage wurde schon bestimmt.
Als Referenzwert der risikobehafteten Anlage (rm ) lässt sich beispielsweise die durchschnittliche DAX-Rendite für eine Investition von Ende 2002 bis Ende 2012 bestimmen. Sie beträgt 8,44%. Allerdings ist der DAX im Winter 2013 auf einem Rekordniveau. Da der Einstieg mit einer hohen Renditeerwartung derzeit eher ungünstig ist, reduziert sich die  Rendite auf vorsichtige 5%. Diese Werte in die folgende Gleichung eingesetzt ergeben die Marktrisikoprämie.

MRP = rm − rf

MRP = 5%− 2,1%

MRP = 2,9%

Somit kann nun ke bestimmt werden.

ke = rf+β x MRP

ke = 2,1%+ 0,1 x 2,9%

ke = 2,39%

 

Praktische Anwendung des DCF-Verfahrens

Nachdem nun alle benotigten Zahlenwerte ermittelt sind kann eine Zahlungsreihe erstellt werden. Durch sie sind die erwarteten Cashflows an das Eigenkapital visualisiert. Die zuvor ermittelten Werte werden nun in eine Gleichung eingesetzt.

Ve =Σ

t=15

19.836.000 € (1+2,39%)1 + 22.272.000 € (1+2,39%)2

+ 24.708.000€ (1+2,39%)3 + 27.144.000 € (1+2,39%)4 + 29.580.000€ (1+2,39%)5

Ve = 19.372.985,64 €+21.244.383,47 €+23.017.861,03 €+24.696.970,03 €+26.285.149,69 €

Ve = 114.617.349,90 €

Somit hat das zukünftige erwartete Eigenkapital der Bank in 2017 den heutigen Barwert von 114.617.349,90€.

Ermittlung der „ewigen Rente“

Wie bereits erörtert, ist die ewige Rente, der ewige Cashflow aus einer Investition, der kein Geld entzogen wird. Die Werte für die Gleichung wurden schon bei der Erhebung für das zukünftig erwartete Eigenkapital in Abschnitt 4.2 ermittelt. Der Zinssatz ist die jährliche Wachstumsrate des Kapitals. Sie beträgt 14%. Der Betrag der „ewigen Rentenzahlung“ ist 17.400.000€ p. a.19. Daraus ergibt sich folgende Gleichung :

ER=CFE

r r = 17.400.000 €

14% = 124.285.714,28 €

Reaktionen des Eigenkapitals auf Schocks

Mögliche Gründe für Schocks sind zahlreich. Denkbare Szenarien sind zum Beispiel massive Ausfälle bei den Erträgen, Steigerungen der allgemeinen Verwaltungskosten oder Bewegungen bei den Zinssätzen. Eine Prognose dieser Ereignisse ist schwer vorherzusehen und somit schwer in das Bewertungskalkül zu integrieren. Das folgende Rechenbeispiel soll demonstrieren was bei einem Einbruch der Erträge geschieht. Die Annahmen: Das Zinsgeschäft läuft nach wie vor rentabel. Das Geschäft mit den Provisionen, welches bei der Volksbank Raiffeisenbank Bayern Mitte der zweit größte Ertragsfaktor ist, bricht zusammen. Potentielle Kunden haben das Vertrauen in die Bank verloren und gehen zur  Konkurrenz. Die Folge: Ein dauerhaftes Schrumpfen der OCI um 5.000.000€.

Ve =Σ

t =1 5 14.360.000 € (1+2,39%)1 + 15.872.000 € (1+2,39%)2 + 17.608.000 € (1+2,39%)3 + 19.344.000 € (1+2,39%)4 + 21.080.000€ (1+2,39%)5

Ve = 14.024.807,11 €+15.139.675,57 €+16.403.533,15 €+17.600.139,56 €+ 18.731.945,76 €

Ve = 81.900.101,15 €

Gemessen am gesamten Ertrag der Bank wirken die 5.000.000€ Ertragsausfall zunächst nicht dramatisch, aber sie fugen dem Erwartungswert des Eigenkapitals doch große Veränderungen zu. Der Wert schrumpft um 28,54%. Wenn sich die Ausgaben steigern verhalt sich die Rechnung grundsätzlich ähnlich.
Der CFE sinkt auch dann und somit auch der Erwartungswert des Eigenkapitals. Interessant wird die Betrachtung, wenn sich die Kosten für das Eigenkapital ändern. Annahme: Der Zinssatz für die risikofreie Anlage erhöht sich auf 4,1%, da die Anleger das Vertrauen in das Produkt verlieren. Dann erhöht sich im Gegenzug auch der Zinssatz für risikobehaftete Anlagen auf 8,5%, weil andere Investoren zum Ausgleich des Risikos einen adäquaten Zinssatz verlangen.

MRP = rm − rf

MRP = 8,5%− 4,1%

MRP = 4,4%

Nun kann wieder ke bestimmt werden.

ke = rf+β ∗ MRP

ke = 4,1% + 0,1 ∗ 4,4%

ke = 4,54%

Auch hier wird deutlich, dass solch kleine Änderungen eine Differenz von 6,3% im Endergebnis ausmachen.
Mit dem neuen ke in der Gleichung ergibt sich folgende Abschlussrechnung:

Ve =Σ t=1

Ve = 18.974.555,19 €+20.379.532,93€+21.626.692,51€+22.727.091,67 €+23.691.125,36 €

Ve = 107.398.997,70 €

Fazit

Die Bewertung eines Unternehmens stellt hohe Anforderungen an den Bewerter. Es gibt zahlreiche Literatur, doch nicht alle führt einen auf den gewünschten Weg. Daher ist ein Zukunftswert einer Unternehmung immer mit Vorsicht zu genießen. Es gibt außerdem zu viele Faktoren, die nicht einkalkuliert werden können. Die hier angewandte Nettomethode  hat den Vorteil, dass sie einfach zu handhaben ist, aber genau darin liegt auch ihr Schwachpunkt. Sie bietet keine Möglichkeit, einen Faktor für Eventualereignisse zu integrieren. Trotzdem sind Unternehmensbewertungen für einen Investor unerlässlich, da schließlich kein rational denkender Investor sein Geld in eine Unternehmung steckt, ohne den  zukünftigen Wert zu kennen oder ihn wenigstens abschätzen zu können.